18. Mai 2025 Tag 20 Crackington Haven – Boscastle

Um es gleich vorwegzunehmen: Mit 850 Höhenmetern wird es an diesem Tag auch nicht langweilig werden. Auf 223 m über NN wird mich das High Cliff, die höchste Klippe Cornwalls, auf dieser Etappe bringen.

Ich werde mich einmal verlaufen und dann (dank der gpx-Daten auf meinem Handy) durch Ginster und Gestrüpp wieder zum Pfad zurückkämpfen. Mir werden nette Einheimische und Mitwanderer, ein interessiertes Pony, bayerische Kühe und wilde Ziegen begegnen.

Ich werde eine Abkürzung nehmen und am Ende doch vor den 200 Stufen stehen, die als Abschluß der Etappe auf die Höhe von Boscastle führen. Und zum guten Schluß heute nicht mal bis Boscastle kommen. Denn nach den erwähnten 200 Stufen (nicht sinnbildlich, wirklich 200) kommt man bald an einer Farm vorbei, die neben einem Farm-Shop auch ein Farm-Cafe betreibt, dem der ausgepumpte Ruheständler nicht widerstehen kann. Dortselbst finden sich die prächtigsten Torten, Kuchen und Pasteten. Eine Himbeer-Sahne-Gedöns-Schönheit gewinnt die Wahl und wird ganz unstylish mit kalter Cola in der Sonne draußen inhaliert. Nachdem am Vorabend bereits die Frage der heutigen Unterkunft geklärt worden war – eine Farmcampsite unweit Boscastle – wird nun noch einmal genauer hingeschaut. Und siehe da, das opulente Farm-Café liegt just an der Landstraße zu dieser Farm hinaus und man hat von hier aus die halbe Entfernung vom Ort schon hinter sich. Ergo kehre ich nach Verzehr der köstlichen Zuckerdröhnung natürlich nicht auf den Pfad zurück, sondern nehme die Landstraße unter meine staubigen Wanderstiefel und bin nach einer knappen Meile schon am Ziel. Eine „working farm“ mit Camping als Zubrot, wie die meisten Farmcampsites. Auch hier ist noch eher wenig los, außer mir nur 2, 3 Campervans auf dem ganzen Feld. Sehr schöne neue „facilities“, eine freundliche Bäuerin, die mich eincheckt, Superpreis (10 £) und zum Aufladen der Geräte besorgt mir der Knecht einen Adapter, mit dem ich an einem der Elektroanschlüsse für Wohnmobile mein Zeug aufladen kann. Alles gut!

Das Zelt ist jetzt immer schnell aufgebaut und eingeräumt, nach dem Duschen und Waschen mache ich mich doch noch auf nach Boscastle. Ein bisschen Einkaufen möcht schon sein, zumal ich für morgen einen Ruhetag beschlossen habe.

Es gibt auch dort einen der klassischen Tante-Emma-Läden, die ja heutzutage trotzdem immer irgendwelchen Ketten zugehören.

Genau gegenüber liegt mit dem Cobweb Inn einer der beiden Dorfpubs. Auch dort live-music, ein Uralt-Rocker gibt als one-man-show jede Menge alte Hits zum Besten. Die Stimmung ist gut, das Bier auch.

Während ich zurück auf der Campsite ein entspanntes Abendessen genieße, mache ich mir Gedanken über die unmittelbare Zukunft. Wie und wie lange soll es noch weitergehen mit mir und meinem Rucksack und dem SWCP?

Lange haben meine Knochen, insbesondere die maximal beanspruchten Knie, alle Strapazen klaglos durchgehalten. Die Bandage links und das Mueller-Band rechts haben offensichtlich als Unterstützung gute Dienste getan. Seit zwei Tagen aber meldet sich mein rechtes Knie. Nicht doll und nicht ständig, aber merklich. Und während die rechte Hüfte/Iliotibialband? schon von Anfang an der Unterstüzung des Wanderstabes bedurfte, macht sich nun auch die linke Seite bei besonders lastintensiven Abschnitten bemerkbar. Kurzum, während sich die Muskulatur den deutlich gewachsenen Anforderungen offensichtlich angepasst hat und auch die Füße klaglos „mitmachen“, scheint der Skelettapparat die andauernde Mehrbelastung von 15 Kilo, insbesondere bei permanentem Auf- und Absteigen, zunehmend weniger zu tolerieren. Und ganz ohne Zweifel führt die ständig hohe körperliche Belastung in Verbindung mit extrem langsamem Vorankommen auch zu einer gewissen mentalen Ermüdung.

In Anbetracht all dieser Sachverhalte will ich den morgigen Ruhetag als Bedenkzeit nutzen, bevor ich über mein weiteres Vorgehen entscheide. Ansonsten werde ich meinem alten-weißen-Männerkörper Ruhe gönnen und die Füße hochlegen.

–> 19. Mai