20. Mai 2025 Tag 22 Boscastle – Tintagel
Letzte Nacht im Zelt, Petrus hält unbeirrt zu mir und bei strahlendem Sonnenschein geht es am Morgen dann erstmal wieder nach Boscastle, zurück auf den Pfad. Durch einen netten kleinen Stadtkern kommt der Wanderer zum winzigen Hafen mit ganz enger Einfahrt, an dem in zwei pittoresken alten Gebäuden ein Café und die örtliche Jugendherberge untergebracht sind.
Von dort wird – was wohl – aufgestiegen und bald ist man wieder weit genug oben für schöne Blicke auf Hafen, Städtchen und die Küste rechts und links. Bei einer Verschnaufpause komme ich mit einem netten dogwalker ins Gespräch. Er ist mit seiner Familie hergezogen und schwärmt von der Gegend ohne für die Nachteile des Landlebens blind zu sein. Auch er wandert auf dem Pfad, etappenweise mit seiner Tochter, und weiß um die Anforderungen. Daher lassen sie ihr Gepäck transportieren – welch ein Luxus.
Dann geht es weiter. Die An- und Abstiege bleiben erstmal im moderaten Bereich, es geht viel über Wiesen und durch lichtes Unterholz.
Dann erreiche ich einen archaischen Übergang über eine der hier typischen Bruchsteinmauern aus im Zickzack gelegten Lagen von Bruchschiefer. Dieser originelle Überstieg fehlt in keinem der zahlreichen Videos über den SWCP, die im Netz zu finden sind.
Auf dem weiteren Weg nach Tintagel gibt es dann nochmals eine zyklopisch anmutende Konstruktion als „kissing-gate“, bevor mit dem Rocky Valley es mal wieder ernsthaft runter und rauf geht.
Das war’s dann aber für diese Etappe, der weitere Weg führt recht eben zur nahen „Artusstadt“ Tintagel. Der Pfad umgeht die Stadt und schlängelt sich stattdessen an den Ruinen von Tintagel Castle vorbei. Deshalb verlasse ich ihn und gehe schnurstracks geradeaus in den Ort hinein. Der ist nicht groß und „Dolphins Backpackers“ schnell gefunden.
Einchecken ab 16:00, jetzt ist es halb drei, aber ein freundlicher Bewohner kommt des Wegs und ich kann meinen Rucksack schonmal drinnen abstellen. Auch der „Einchecker“ ist schon um drei vor Ort und dann kann ich mich im gemütlichen 10-Bettenschlafsaal nach Herzenslust ausbreiten, denn ich bin heute der einzige Gast hier. Mai als Reisezeit hat eindeutig seine Vorteile. Die Unterkunft erinnert mich an die Alberguen auf dem Camino. Ich hab mit solchen Schlafsälen kein Problem.
Das Hostel selbst wirkt weniger wie ein professioneller Beherbergungsbetrieb als vielmehr wie eine WG der 80er Jahre. Untergebracht in einem verwinkelten zweistöckigen Gebäude mit zahlreichen Anbauten und Wintergarten um einen begrünten Innenhof ist es auch Dauerwohnung für einige residents, die allesamt ziemlich gechillt und ein bisschen schräg daherkommen. Es läuft „gute“ Musik (= alte-weiße-Männer-tauglich) und ist tatsächlich wie eine Zeitreise zurück; ich fühle mich deutlich verjüngt und pudelwohl.
Heute komme ich schneller zum Einkaufen, muss doch kein Zelt mehr aufgebaut und eingerichtet werden. Wie gesagt, Tintagel ist klein, SPAR um die Ecke. Ansonsten ist der Ort natürlich voller Touristen und eine Esoterikmetropole. Artus und die Tafelrundengeschichten sind DAS Geschäftsmodell hier.
Als ich später mit einem Bier im Gemeinschaftswintergarten auf einem der zahlreichen Sofas herumlümmele kommen noch andere Gäste. Ein Biker mit seiner Freundin, sie sind offenbar nicht zum ersten Mal hier.
Marcus, so stellt er sich später vor, entspricht zu 100 % dem Klischee eines Rockers: Ziemliche Kante, Piratenkopftuch, Militärklamotten, Springerstiefel, laut und schnell ne Büchse Bier in der Hand.
Bier und Bier gesellt sich gern und wir kommen ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass er ein – einen Monat älter als ich – ein Veteran der britischen Streitkräfte ist. Er hat in der Royal Navy gedient, war unter anderem in Afghanistan, wo sie ihm ein paar Fingerkuppen weggeschossen und einige beeindruckende Löcher im Bauch verpasst haben. Er erzählt viel und gerne , scheint aber das Herz mehr oder weniger auf dem rechten Fleck zu haben. Seine Freundin Nell ist das ganze Gegenteil, eine kleine, schmale Frau, die wenig spricht. Wir verbringen einen feuchtfröhlichen Abend bei weiterhin guter Musik und sogar eine Zigarette rauche ich mit zu vorgerückter Stunde, der alten Zeiten wegen 😉 .
Die erste Nacht in einem Bett seit – keine Ahnung, wie lange – beschert natürlich einen wunderbaren Schlaf, der allerdings gegen 5 Uhr morgens durch das Trommeln von Regen auf dem Dach rüde unterbrochen wird. So ganz unerwartet sprich unvorhergesagt kommt dieser Wetterumschwung nicht, aber ich hatte eher mit einer Art mildem Landregen gerechnet und an meiner Wanderplanung für heute erstmal festgehalten. Angesichts dieses veritablen Wolkenbruchs allerdings wird dieser Plan jetzt ersatzlos gestrichen. Erstens ist der Pfad in nassem und rutschigem Zustand mindestens noch beschwerlicher als ohnehin bis hin zu manifest gefährlich und zweitens bin ich nicht 3 1/2 Wochen bei strahlendem Sonnenschein gewandert um am letzten Tag zum Ziel zu schwimmen. Ohne großes Bedauern drehe ich mich nach dieser Entscheidung in meinem warmen Bett noch einmal um und schlafe wieder ein.

































